Boreout

Wenn Langeweile im Job krank macht

Anna (Name geändert) hat einen interessanten und spannenden Job, eine gute Position und eine erfolgreiche Karriere – das zumindest dachte ihr privates und berufliches Umfeld. Doch irgendwann merkten Freunde: Etwas ist anders, Anna verhält sich plötzlich so seltsam. Sie hat kein Interesse mehr an gemeinsamen Spaziergängen und ist zunehmend distanziert. Die Telefonate mit der besten Freundin Kathrin (Name geändert), die sie normalerweise jeden zweiten Tag führt, werden auch immer seltener. Anna ignoriert die Anrufe und reagiert auch nicht mehr auf WhatsApp-Nachrichten. „Das hat mich schon irgendwie stutzig gemacht“, sagt Kathrin heute, aber wirklich Sorgen gemacht hat sie sich zunächst nicht – und schon gar nicht wegen Annas Arbeit. Dabei gab es bereits die ersten Anzeichen, dass da irgendetwas nicht stimmt. Langweilig sei der Job, sagte Anna, es sei doch ohnehin immer das Gleiche. Antriebs- und Lustlosigkeit, Unzufriedenheit im Job, fehlende Motivation – Anna steckte in einem Boreout.

Über Burnout durch Stress im Job ist inzwischen viel bekannt, doch das Gegenteil, nämlich gesundheitliche Folgen durch ständige Unterforderung, ist bislang noch ein Randthema, auch wenn es immer wieder von Bloggern oder Journalisten aufgegriffen wird. Peter Werder und Philippe Rothling waren die ersten, die den Begriff nutzten. 2007 erschienen ihr Buch „Diagnose Boreout“. Das Buch wurde für zwei deutsche Wirtschaftsbuchpreise nominiert, auch wenn Kritiker den Autoren vorwarfen und vorwerfen, ihre Theorie sei ein Hoax, der aus einer komplett normalen Situation ein Krankheitsbild mache. Boreout besteht für Werder und Rothling aber nicht nur aus Desinteresse und Unterforderung: Betroffene, so ihre Annahme, würden zunehmend Verhaltensstrategien entwickeln, um bei der Arbeit beschäftig zu wirken, auch wenn sie es gar nicht sind. Das verschlimmere die Situation und verlängere die ohnehin bestehende Unzufriedenheit. Betroffene sind nicht mehr in der Lage die Situation zu analysieren und Gegenschritte zu ergreifen. Das habe nichts mit Faulheit zu tun, vielmehr suchten diese Menschen nach einer Herausforderung und neuen Aufgaben, doch stattdessen seien sie mit Vorgesetzten konfrontiert, die ihnen nur langweilige oder nichtssagende Aufgaben übertragen.

Hinzu kommt, dass tatsächlich viele noch nie etwas vom Boreout gehört haben und wer sich bei Freunden oder Bekannten über die Langeweile im Job beschwert, der hört oft genug, er oder sie solle sich entweder zusammenreißen oder sich einen neuen Job suchen. Aber das ist leichter gesagt, denn getan, wenn man erst einmal in einer mentalen Abwärtsspirale steckt. Die Boreout-Symptome ähneln dabei einem Burnout und einer Depression: Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Gereiztheit, Tinnitus, Schwindel, Orientierungslosigkeit, Müdigkeit, Ohnmachtsgefühle, Verzweiflung oder Sinnkrise. Nichts funktioniert mehr wo, wie man es gewohnt ist. Und das wird irgendwann auch nach außen sichtbar.

Boreout hat Folgen für die psychische und körperliche Gesundheit

„Als ich Anna nach Monaten endlich wieder zu Gesicht bekommen habe, war ich total geschockt“, sagt Kathrin über ihre Freundin. „Sie hatte dunkle Augenränder und sah irgendwie krank aus.“ Anna berichtete von Schlafstörungen, doch Kathrin schob das zunächst auf die Corona-Krise und den damit verbundenen Stress. „Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass das etwas mit ihrem Job zu tun haben könnte“, sagt Kathrin. Aber auch andere waren inzwischen darauf aufmerksam geworden, dass irgendetwas nicht stimmte: Annas Mann schickte sie zum Arzt. Eine andere Freundin sagte: „Du hast bestimmt Boreout!“ Das war aber mehr ein Scherz und nicht ganz ernst gemeint. Aber genau das war passiert.

Tatsächlich spielte in Annas Fall Corona eine gewisse Rolle, denn durch die veränderten Arbeitsumstände war ihr mehr und mehr bewusst geworden, wie sinnlos ihr Job eigentlich ist. Es gab keine Mittagspausen mehr mit den Kollegen, die davon ablenken konnten und so steckte Anna alleine in einer Spirale der Langeweile. Und dieses Alleinsein von Betroffenen setzt sich leider auch häufig nach der Diagnose fort. „Als sie mir ihre Diagnose mitgeteilt hat, habe ich leider falsch reagiert“, sagt Kathrin. „Ich habe ihr gesagt, dass das Quatsch sei und dass das bei ihr bestimmt kein Boreout ist, weil sie in meinen Augen so einen tollen Job hat.“ Und dann ist sie auch noch in einer glücklichen Beziehung und hat tolle Kinder. Das hat eigentlich gar nichts mit der beruflichen Situation zu tun, doch viele Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden, präsentieren lange nach außen ein komplett normales und glückliches Bild. „Für mich war das einfach nicht schlüssig: Wie kann es sein, dass eine Karrierefrau einen Boreout hat und nicht einen Burnout“, sagt Kathrin. Leider reagierten viele im Umfeld so. „Ich denke, es liegt daran, dass das Thema noch nicht bekannt genug ist und selbst Burnout eher belächelt und als Schwäche gesehen wird“, sagt Kathrin. Dabei brauchen Betroffene professionelle Unterstützung: psychotherapeutische Gespräche und andere Therapieformen können helfen. Manchmal ist sogar ein Klinikaufenthalt notwendig. Betroffene müssen einen Weg finden, um aus der Situation auszusteigen, und müssen sich gegebenenfalls beruflich neu orientieren. Dafür aber müssen sie die entsprechende mentale Stärke mitbringen. Und da können Freunde und Familie, aber auch das Unternehmen unterstützend zur Seite stehen. Kathrin hat sich beispielsweise bei Anna entschuldigt, dass sie sie nicht ernst genommen hat, obwohl sie bereits einmal über den Boreout gesprochen hatten.

Neue Karriere: Mithilfe eines Consultants den krankmachenden Job verlassen

Consultants und Unternehmensberatungen wie head for work können helfen, bevor die Langeweile zum Boreout wirkt: Sie verfügen über ein breites Netzwerk und können Kandidaten dabei unterstützen, rechtzeitig eine neue Stelle und damit eine neue Herausforderung zu finden. Aber auch Unternehmen sind hier stärker gefragt: „Ich denke als Unternehmen sind regelmäßige Gespräche wichtig. Wir haben zum Beispiel jedes Quartal ein Gespräch mit unseren Mitarbeitern“, sagt Sladjana Drago, die bei head für work unter anderem für das Marketing zuständig ist. „Da hat man immer die Chance, alles offen anzusprechen, die letzten drei Monate selbst zu reflektieren und auch reflektiert zu werden.“ Im Zentrum des Gesprächs stehen darüber hinaus die nächsten Ziele und Wünsche, sowie Verbesserungsmöglichkeiten oder Weiterbildungsangebote. Neue Anreize und neue Aufgaben können für größere Zufriedenheit sorgen und festigen auf lange Sicht die Bindung ans Unternehmen. Grundsätzlich ist Boreout nicht nur ein Problem für den entsprechenden Mitarbeiter, sondern auch für das Unternehmen selbst: Die Leistung lässt nach, der Krankenstand erhöht sich, das Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen leidet, die Teamstruktur wird gestört etc. Daher sollten Unternehmen nicht nur darauf achten, dass Mitarbeiter nicht überfordert sind (Burnout). „Ich denke, dass es wichtig ist, dass man nicht stehenbleibt und man auch eine gewisse Abwechslung im Job hat“, sagt Sladjana Drago aus eigener Erfahrung.

„Als Führungskraft ist es wichtig, im ständigen Austausch mit den Mitarbeitern zu sein“, sagt head for work Geschäftsführer Denis Drago. „Und dabei spielen Gefühl und Empathie eine wichtige Rolle.“ Sobald man als Führungsperson das Gefühl habe, dass bei einem Mitarbeiter etwas nicht stimme, sollte man sich die Zeit nehmen und das konkret ansprechen. „Oft ist es so, dass der Mitarbeiter sich einfach mal nur ‚auskotzen‘ möchte“, erzählt Denis Drago aus eigener Erfahrung. Und das muss nicht einmal etwas mit der Arbeit zu tun haben. Manchmal sind es Kleinigkeiten aus dem Alltag, die große Auswirkungen auf das Gemüt haben. Und das schlage sich dann auch auf die Arbeit, das private Umfeld und die eigene Psyche nieder, sagt Denis Drago. „Das A und O ist der offene und ehrliche Austausch, um das Problem zu identifizieren und im Nachgang gemeinsam eine Lösung zu finden.“ Damit Mitarbeiter auch über lange Zeit mit ihrem Job zufrieden sind, hat Denis Drago zwei konkrete und eigentlich ganz einfache Tipps für Unternehmen: „Neben dem Tagesgeschäft sollte man Mitarbeitern neue Aufgaben geben, durch die sie sich weiterentwickeln können. Zusätzlich sollte man immer Zeit für Trainings, Schulungen und Weiterbildungen bieten und nutzen.“

* Wir legen Wert auf Gleichberechtigung und ein Miteinander auf Augenhöhe. Deshalb beziehen wir unsere Personenbezeichnungen, egal in welcher Schreibweise auf alle Geschlechter.