Die Angst vom Verlust demokratischer Freiheiten

Menschen gehen mit Krisen sehr unterschiedlich um. Freunde und Familie helfen sich untereinander, Menschen rücken trotz räumlicher Ferne emotional näher zusammen, treffen sich Online für Spiele oder Chats und pflegen Kontakte in die ganze Welt. Für andere ist der Kontrollverlust nahezu unerträglich. Und dabei geht nicht nur um die strengen Regeln für Sozialkontakte oder Ausgangssperren. Auch beruflich verlieren viele Menschen die Kontrolle: durch Jobverlust, Kurzarbeit, Auftragsrückgang oder schlicht eine ungewisse Zukunft. Schließlich gibt es bislang noch keine klare Aussage darüber, wie lange sich die Coronakrise hinziehen wird – Monate oder gar Jahre.

Vielleicht ist es daher eine ganz natürliche Nebenerscheinung, dass manche Mitbürger sich zumindest ein wenig Kontrolle zurückholen, indem sie Polizei spielen – online und im wirklichen Leben. 

Da ruft in Berlin jemand die Polizei, weil eine Mutter mit drei Kindern im Park unterwegs ist. Sie sehe noch so jung aus, sie könne unmöglich die Mutter sein und wer nicht die Mutter ist, hat mit den Kindern im Park nichts zu suchen. Andere Mütter, die zwangsweise ihre Kinder mit in den Supermarkt nehmen, werden giftig angeguckt oder gar zurechtgewiesen. Und jedes Wochenende kursieren auf Twitter anklagende Bilder, die Leute im Park aufgenommen haben: Guck, die sitzen in einer Gruppe. Gehören doch sicher nicht in einen Haushalt. Warum sind da überhaupt so viele Menschen unterwegs? Die sollen doch zuhause bleiben… In London wurde beispielsweise wegen solcher Fotos jüngst der einzige Park in einer dicht bebauten Nachbarschaft geschlossen – mit der Folge, dass die Menschen jetzt nur noch den engen Fußweg an der Straße für Spaziergänge oder Sport nutze können. Statt mehr Distanz sind sie auf noch engerem Raum zusammengedrückt.

Vorsicht vor Online-Wut​

Neben der Online-Wut bringen Soziale Netzwerke und neue Medien in der Corona-Krise viele Vorteile. Noch nie in der Geschichte der Menschheit gelangten Menschen so schnell an aktuelle Informationen wie heute. Wer sich aber über die neuesten öffentlichen Zahlen hinaus oder über Randthemen informieren möchte, sollte allerdings selbst aktiv verschiedene Nachrichtenseiten, Blogs oder Online-Diskussionen suchen und lesen. Auf Twitter zum Beispiel sind viele Wissenschaftler aktiv, die an der Erforschung von COVID19 arbeiten und versuchen, die komplexen wissenschaftlichen Fragen auch Laien verständlich zu machen und über Missverständnisse und Fehlinformationen aufzuklären.

In der Medienvielfalt liegt aber auch ihr größtes Problem, denn tagtäglich sehen sich Menschen einem Überangebot an Information ausgesetzt. Nicht selten schürt dies das ohnehin schon bestehende Krisengefühl. Darüber hinaus besteht natürlich die Fragen, welchen Informationen man überhaupt trauen kann, welche Aussage tatsächlich verifiziert ist und was wilde Spekulation. Die derzeitige Situation ist fließend und unterliegt ständigen Veränderungen: COVID19 ist ein recht neuer Virus und viele Aspekte sind noch immer nicht erforscht. Was heute aktuelle Information ist, ist morgen vielleicht schon wieder überholt. Manche Fragen sind noch gar nicht beantwortet: Ist man nach einer Erkrankung immun? Oder lässt die Immunität mit der Zeit nach? Und auch politisch gibt es täglich neue Entwicklungen und Entscheidungen, so dass es schwer ist, den Überblick zu behalten. Und kann ich als Leser oder Zuschauer eigentlich Informationen trauen, wenn sich die Situation doch ständig ändert? Hier liegt großes Problempotential und die traditionellen Medien, wie Fernsehen und Zeitungen, sind davon ebenso betroffen, wie neue News-Blogs oder Twitter-Threads.

Oft finden sich in den sozialen Netzwerken oder WhatsApp-Gruppenchats Behauptungen, die Journalisten – sei es in der Tagesschau oder der überregionalen Tageszeitung – nie veröffentlichen würden. Schnell kommt da der Vorwurf auf, es handle sich um die Unterdrückung unerwünschter Meinungen oder gar eine Meinungsdiktatur, dabei steckt dahinter etwas, das sich journalistische Sorgfaltspflicht nennt. Quellen und Informationen müssen sich unabhängig überprüfen lassen, oder wie es der Pressekodex vorgibt: „Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben.“  

Aus anonymer Quelle stammende und über WhatsApp verschickte Nachrichten sind keine zuverlässigen Quellen.

Nehmen wir einmal ein etwas abstruses Beispiel für den Einstieg. COVID19 war noch nicht einmal ganz in England und den USA angekommen, da begann auf WhatsApp eine Nachricht zu kursieren, man möge bitte in Stadt xy (da gab es mehrere Varianten) alle Fenster und Türen geschlossen halten. Die Regierung werde mit Flugzeugen Chemikalien über der Stadt abwerfen, um den Virus zu bekämpfen. Tausendfach geteilt.

Dass Fakt und Fiktion sich nicht immer trennen lassen, zeigt ein zweites Beispiel: Da kursierte über WhatsApp die ominöse Nachricht von „Elisabeth, die Mama von Poldi“, die jemanden von der Universität Wien kenne, der davon abrate Ibuprofen zu benutzen, da das die Vermehrung des Virus beschleunige. Auch diese Nachricht wurde tausendfach verbreitet – selbst nachdem die Universität Wien das längst dementiert hatte. Mag es sich bei der WhatsApp-Nachricht um Fake News handeln, so war Poldis Mama nicht die einzige, die diese Warnung verbreitete: Der französische Gesundheitsminister riet von einer Einnahme ab und auch die WHO folgte kurz darauf mit dem gleichen Ratschlag. Man brauche aber noch weitere Erkenntnisse. Inzwischen hat die WHO die Empfehlung allerdings wieder zurückgezogen.

Quelle: https://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-ibuprofen-101.html

Meinungsfreiheit und COVID19​

Dass in der Corona-Krise manchmal das Gefühl aufkam und aufkommt, es gebe eine Meinungszensur, ist sicherlich beeinflusst durch die zunächst recht einseitige Berichterstattung mit dem Fokus auf Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln (wissenschaftlich überprüft diese These allerdings noch nicht!). Erst langsam machten sich auch andere Stimmen bemerkbar: Artikel begannen die psychologischen Folgen von Isolation und Quarantäne zu debattieren oder die Folgen für die freiheitlich demokratische Grundordnung, wenn derartig freiheitsbeschränkende Maßnahmen über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden. Medien sind menschengesteuert und damit nicht fehlerfrei.

Auch in Zeiten von Corona ist die Meinungsfreiheit in Deutschland nicht eingeschränkt. Es gibt tatsächlich bestimmte historisch begründete Ausnahmen, dazu gehören beispielsweise Symbole des Nationalsozialismus oder die Verharmlosung und Leugnung der Opfer des Nationalsozialismus. Das ist nicht durch das Recht auf Meinungsfreiheit geschützt und wer beispielsweise öffentlich ein Hakenkreuz trägt, kann strafrechtlich belangt werden. 

Auch Beleidigungen sind nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt, da hier der Schutz des Betroffenen höher steht. Bei Beleidigungen ermittelt die Polizei allerdings nur, wenn der oder die Betroffene einen Strafantrag stellt. Es erfolgt also keine Verfolgung von Staatsseite. Wie schwierig das teilweise ist, hat jüngst der Fall Renate Künast gezeigt.

Über die wenigen gesetzlichen Einschränkungen hinaus, darf man in Deutschland aber alles sagen, was man möchte. Meinungsfreiheit heißt aber nicht, dass man hinterher nicht mit Kritik rechnen muss. Wer also über Twitter oder andere soziale Netzwerke Aussagen tätigt, die anderen nicht gefallen oder die andere nicht teilen, kann sich nicht über eine Einschränkung der Meinungsfreiheit beklagen, wenn er oder sie entsprechenden Gegenwind bekommt. Dass es in den sozialen Netzwerke gerade bei kontroversen Themen oft Cybermobbing oder gezielte Angriffe organisierter Netzwerke auf einzelne User gibt, ist ein großes Problem. Das zu diskutieren, würde aber an dieser Stelle zu weit führen.

COVID19 beeinflusst Medien und Mediennutzung​

In der Medientheorie geht man davon aus, dass ein Ereignis einen bestimmten Nachrichtenwert haben muss, damit Medien überhaupt darüber berichten. Diese Schwelle liegt in Regionalnachrichten natürlich anders als bei der Tagesschau, da beide einen unterschiedlichen Fokus haben. Auffällig an der Coronakrise ist aber, wie stark sich die Nachrichtenschwelle verschoben hat: Welches Ereignis lässt sich in seinem Neuigkeitswert schon mit einer globalen Pandemie vergleichen? Viele Themen fallen in der Berichterstattung hinten runter oder werden nur noch am Rande berücksichtigt. Wer hat zum Beispiel irgendetwas über die Folgen der verheerenden Waldbrände in Australien gelesen? 

 

 

 

Die Waldbrände in Tschernobyl mussten bis auf 2km an den alten Reaktor herankommen, bevor Medien am Ostermontag begannen in größerer Breite darüber zu berichten.

Mediennutzer stellt das vor neue Herausforderungen: wer breit informiert sein will, kann nicht mehr rein passiver Medienkonsument sein, sondern braucht eine aktive Mediennutzung – durch Recherche auf verschiedenen Webseiten und in sozialen Netzwerken, weder politisch rechts noch links, sondern ausbalanciert und ausgewogen. Das ist nicht einfach. Wie an die Ausgangssperren und den fehlenden Handschlag müssen sich die Menschen auch an einen neuen, kritisch-informierten Umgang mit Medien gewöhnen: nicht alles glauben, was über WhatsApp kursiert, aber auch einen Blick dafür haben, welche Themen angesichts der Krise plötzlich keinen Platz mehr auf der Titelseite der Zeitung oder als Aufmacher online finden.

* Wir legen Wert auf Gleichberechtigung und ein Miteinander auf Augenhöhe. Deshalb beziehen wir unsere Personenbezeichnungen, egal in welcher Schreibweise auf alle Geschlechter.