Digitaler Stress

Der erste Griff am Morgen? In Richtung Mobiltelefon! Die letzte Tat am Abend? Das Telefon auf den Nachttisch legen – aber vorher noch kurz ein Blick auf Facebook, Twitter, Instagram oder in die E-Mails. Abschalten vom Alltag ist schwierig, vom digitalen Stress nahezu unmöglich. Das Thema wird nicht einfacher, wenn man sich aus der Privatsphäre wegbewegt und einen Blick in den derzeitigen Arbeitsmarkt wirft: Hier hat insbesondere die Corona-Pandemie zu einem weiteren Digitalisierungsschub geführt. Seien wir einmal ehrlich: Wer hatte schon vor 2020 von Zoom gehört?

 

Viele Mitarbeiter mussten sich mehr oder weniger über Nacht ganz neue Fähigkeiten aneignen und ein technisches Know-how entwickeln, das vorher nicht in ihrer Arbeitsbeschreibung stand. Dabei sind die unterschiedlichen Mitarbeiter*innen mit unterschiedlichen Voraussetzungen in diese neue Arbeitswelt eingetreten. Digital Natives und Mitarbeiter*innen mit bestehenden IT-Kenntnissen oder einem Interesse an neuen Technologien fallen derartige Neuerungen oft einfacher, während diejenigen, die schon mit Outlook oder Word zu kämpfen haben, mehr und mehr das Gefühl bekommen, abgehängt zu werden und in der Arbeitswelt nicht mehr mithalten zu können. Das schafft eine neue Form digitalen Stresses, die über die ständige Erreichbarkeit weit hinausgeht.

 

Bereits 2020 machte die Hans-Böckler-Stiftung in einer Studie zwölf mit der Digitalisierung verbundene Stressfaktoren aus. Darunter fielen die Leistungsüberwachung, die Verletzung der Privatsphäre, Unterbrechungen, Verunsicherung, die Unklarheit der eigenen Rolle, Omnipräsenz, Komplexität, die Überflutung mit Informationen, mangelnde Erfolgserlebnisse, ebenso wie die Nicht-Verfügbarkeit der notwendigen Technologie oder die Unzuverlässigkeit der bestehenden Technologie.

Vor- und Nachteile des digitalen Arbeitens in Unternehmen

Mitarbeiter*innen haben sich an einige Bereiche des digitalen Arbeitens inzwischen gewöhnt. Dazu gehören Videokonferenzen und andere digitale Arbeitsmittel. Geteilte Kalender und Planungswerkzeuge können beispielsweise sehr hilfreich sein, Aufgaben zu koordinieren, Urlaube zu planen und Deadlines zu verwalten. Darüber hinaus sind sie meist recht einfach zu handhaben – wenn Unternehmen die entsprechenden Schulungen anbieten. Hier liegt bereits die erste Falle, die zu digitalem Stress führen kann: Wer ein neues digitales Werkzeug einführt, die Mitarbeiter*innen dann aber damit alleine lässt, der riskiert Überforderung, digitalen Stress und darüber hinaus unnötige Ineffizienz; alles Faktoren, die sich mit entsprechenden Kursen und Einführungen in die neuen Systeme beseitigen lassen. Dabei sollte man auch das unterschiedliche Lerntempo und die unterschiedlichen Lerntypen berücksichtigen. Manch einer begreift schnell, wie ein Computerprogramm funktioniert, andere brauchen vielleicht drei oder vier Sitzungen und während einige am besten lernen, wenn sie eine Schritt-für-Schritt Erklärung per Präsentation bekommen, lernen andere besser, während sie mit dem Tool arbeiten. Learning-by-doing ist hier ein schönes Schlagwort.

Digitalisierung

Kommunikationsregeln zur Stressvermeidung

Zu den notwendigen Schulungen im Unternehmen gehört auch, welche Etikette in der digitalen Kommunikation zu gelten hat. Nehmen wir einmal das Beispiel eines Chats: Die meisten Unternehmen nutzen MSTeams oder andere Chat- und Videotelefonie-Software zur Kommunikation mit ihren Mitarbeiter*innen im Büro, im Homeoffice und Remote. Aufgrund der unterschiedlichen Arbeitssituationen, in denen sich die Mitarbeiter*innen Dank Hybridarbeit tagtäglich befinden, ist das der effizienteste Weg, um stets einen Kommunikationskanal offen zu halten. Hier liegt aber auch eine Hauptursache für digitalen Stress.

 

Man stelle sich nur einmal vor, eine Mitarbeiterin ist gerade mit einer wichtigen Aufgabe beschäftigt, aber ständig pingt der Gruppenchat und lenkt sie von der Kalkulation ab. Sie schaltet den Chat auf stumm, aber da sie nicht auf ein witziges GIF reagiert und auch nicht antwortet, wenn sie jemand direkt im Chat taggt, schickt ein Kollege eine Direktnachricht – nicht, weil es gerade dringend ist, sondern weil er kann. Die Kollegin sieht sich gezwungen zu antworten, schaltet dann die Verfügbarkeit auf „nicht stören“, nur um 15 Minuten später die nächste Nachricht zu bekommen: „Kommst du in der Mittagspause mit zum Italiener?“ Die Konzentration ist dahin, die Deadline leuchtet rot im Kalender, das Stresslevel lässt die Alarmglocken in Gehirn laut klingen. Um derartige Situationen zu vermeiden, ist es wichtig, eine gute Kommunikationskultur zu etablieren. Mitarbeiter*innen müssen wissen, wie sie sich in welchen Situationen verhalten sollten. Hier sind Führungskräfte gefragt, Regeln zu etablieren, beispielweise, dass man Kolleg*innen, die ihren Status auf „nicht stören“ stellen, auch wirklich nicht stören sollte – es sei denn, es handelt sich um einen Notfall oder eine zeitlich-dringende Anfrage. Der Stressauslöser ist hier nämlich nicht die Digitalisierung an sich, sondern der Umgang damit.

 

Wie in den meisten Bereichen des Lebens ist Kommunikation bei der Digitalisierung ein Schlüssel zum Erfolg: Oft erleben Mitarbeiter*innen digitalen Stress, können dies aber nicht einmal kommunizieren, weil sie nicht die richtigen Begriffe dafür finden oder sich gar nicht bewusst sind, dass das, was sie empfinden, auf digitalen Stress zurückzuführen ist. Sie sind ausgelaugt, angespannt, nervös, verärgert, leicht gereizt, traurig, unzufrieden – aber sie wissen nicht warum. Daher ist es wichtig, das Thema digitaler Stress unternehmensintern anzusprechen. Mitarbeiter*innen brauchen das richtige Vokabular, um benennen zu können, was sie eigentlich empfinden. Hier sind erneut Führungskräfte gefragt, den ersten Schritt zu machen und diese Themen zu diskutieren.

Digitale Kompetenz fängt bei den Führungskräften an

Das ist nicht immer einfach, weil Führungskräfte oft genau den gleichen Stressfaktoren ausgesetzt sind und angesichts der sich zunehmenden Hybridarbeit vor der Herausforderung stehen, aus der Ferne die Mitarbeiter beurteilen zu müssen. Daher brauchen Führungskräfte die entsprechenden Schulungen – gesunde Kommunikation fängt beim Kopf des Unternehmens oder Teams an. Ist bereits der Chef oder die Chefin digital überfordert, wie kann er oder sie dann erwarten, dass die Mitarbeiter*innen besser mit dem Thema umgehen? Wer medienkompetente Mitarbeiter*innen will, der braucht medienkompetente Führungskräfte. Es hilft Unternehmen also nicht, wenn sie in teure neue Technologien oder Computerprogramme investieren, dann aber die Schulungen, das Training und die Unternehmenskultur vernachlässigen.

Nur wer das passende Handwerkszeug hat – physisch und psychisch – kann lernen mit den stetig wachsenden Herausforderungen der Digitalisierung umzugehen und so digitalen Stress zu vermeiden.

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