Ghosting bei Mitarbeiterrekrutierung und Jobwechsel

Das Bewerbungsgespräch bei einem Unternehmen ist gut gelaufen, das Human Resources-Team kündigt einen baldigen Vertragsabschluss an – und dann hört der Kandidat nie wieder etwas. Andere Situation, gleiches Problem: Der Bewerber ist vielversprechend, aber nach dem Gespräch löst er sich wie ein Gespenst in Luft auf. Ghosting, oft mit Online-Dating in Verbindung gebracht, ist auch in Bewerbungsverfahren ein Problem – und ein Zeichen mangelnden Respekts.

Eine kurze Textnachricht – dann nichts mehr. Anna hat diese Erfahrung jüngst beim Online-Dating gemacht. Mit einem Mal bekam sie keine Antwort mehr, keine Erklärung, einfach Schweigen am anderen Ende von WhatsApp. Sogenanntes Ghosting ist aber nicht nur auf Dating oder Beziehungen begrenzt: auch unter Familienmitgliedern und Freunden kommt es vor – und sogar im Berufsleben. Ein Kandidat ist zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Es scheint alles gut zu laufen, am Ende des Gesprächs macht der Geschäftsführer deutlich, dass der Kandidat gut passen würde. Hoffnungsvoll geht es nach Hause – und dann kommt nichts mehr. Keine Absage. Keine Erklärung. Das muss nicht unbedingt aus böswilliger Absicht passieren, manchmal dauert das Verfahren länger als gedacht, oder wegen einer plötzlichen Krise vergisst die zuständige Person, die geplante E-Mail-Absage abzuschicken. Es gibt aber immer wieder Unternehmen, die Ghosting im Bewerbungsverfahren gezielt einsetzen – und das kann Konsequenzen haben.

Mangelnde Empathie oder Angst vor Konflikten?

Die Ursachen für das Ghosting-Phänomen sind schwer auszumachen. Immer wieder wird Social Media dafür verantwortlich gemacht und die Anonymität des Internets. Wer online – relativ anonym – oder über digitale Kanäle wie E-Mails oder Messaging Dienste ghostet hat keine sozialen Konsequenzen zu fürchten, wie den Unmut von Freunden und Kollegen. Das macht es einfacher, den Kontakt zu abzubrechen und dabei möglichen unangenehmen Gesprächen und Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Einige vermuten hinter dem Ghosting ein generelles Nachlassen von Empathie in der Gesellschaft. Auch Ghosting selbst mag Teil der Ursache sein: je häufiger ein derartiges Phänomen vorkommt und je häufiger man es selbst erlebt, desto höher ist das Risiko, dass man desensibilisiert wird und das Problem gar nicht mehr als solches wahrnimmt. Eine Studie hat gezeigt: Diejenigen, die eine Beziehung durch Ghosting beenden, haben dies oft bereits selbst erlebt.

Eine weitere Erkenntnis aus Studien zu Ghosting: Menschen, die Konflikten aus dem Weg gehen wollen und Probleme damit haben, anderen zu vertrauen, neigen eher dazu, Beziehungen auf indirektem Weg zu beenden – unter anderem indem sie einfach schweigend verschwinden.

Ärger, Selbstzweifel und offene Fragen: Ghosting bei der Bewerbung

Für denjenigen, der Ghosting erlebt, hat das immer mentale Folgen: unbeantwortete Fragen, Unsicherheit, Frust und auch Selbstzweifel. Das ist nicht nur im persönlichen Bereich der Fall, sondern auch im Beruf: Habe ich beim Bewerbungsgespräch etwas falsch gemacht? Melden die sich vielleicht irgendwann noch? Unternehmen können viele Gründe haben, sich gegen einen Kandidaten zu entscheiden. Vielleicht stimmte schlichtweg die Chemie nicht, es fehlten Qualifikationen oder ein anderer Kandidat war besser. Manch ein Personalchef und Unternehmensleiter mag es da als eine legitime Form der Absage betrachten, sich einfach nicht mehr zu melden. Letztlich ist das aber ein Zeichen fehlenden Respekts, auch wenn es für Personalchefs natürlich kein schönes Gefühl ist, einem enttäuschten Bewerber mitzuteilen, dass sich das Unternehmen für jemand anders entschieden hat.

Wenn der Bewerber plötzlich unauffindbar ist

Es sind aber nicht nur Unternehmen, die potentielle Bewerber ghosten. Manchmal tauchen potentielle Kandidaten nicht einmal zum vereinbarten Bewerbungsgespräch auf. Oder man stelle sich die folgende Situation vor: Ein Bewerber macht beim Vorstellungsgespräch einen so guten Eindruck, dass sich der Personalleiter entschließt den Kandidaten oder die Kandidatin einzustellen. Doch plötzlich ist er oder sie nicht mehr zu erreichen – nicht per Telefon und auch nicht per E-Mail. Dafür kann es verschiedene Gründe geben: ein anderes Jobangebot oder die Erkenntnis, dass der Job doch nicht der richtige ist. Zunehmende Konkurrenz am Arbeitsmarkt kann auch ein entsprechender Faktor sein, wenn ein Kandidat plötzlich zwei gute Jobangebote bekommt.

Ziya Sahin, Senior Consultant bei der Düsseldorfer Personalberatung head for work, sieht es als seine Aufgabe beide Seiten – Kandidat und Unternehmen – zusammenzubringen, daher „würde ich natürlich versuchen, die Ghosting-Seite mit allen Mitteln und über alle Kanäle erreichen“. Das beginnt mit einer Mailbox-Nachricht, SMS, bis hin zur E-Mail, in der der Berater zudem den Aufwand und die Mühe erklärt, die eingeflossen sind, damit der Kandidat das Gespräch auch bekommt. „Wenn man dem Unternehmen weiterhelfen möchte, weil sich der Kandidat nicht mehr meldet, obwohl man alles versucht hat, würde ich Alternativen aufzeigen – falls es diese natürlich gibt.“ Ein Berater kann in so einem Fall den Kontakt zu anderen geeigneten Kandidaten herstellen, die dieselbe Qualifikation mitbringen und die Rahmenparameter des Unternehmens nicht sprengen.
Head for work Manager Christoph Enzenmüller setzt bei Ghosting ebenfalls auf eine erneute Nachfrage per E-Mail. Gibt es vom Kandidaten weiterhin keine Rückmeldung, versucht er es noch einmal und: „Ich erkundige mich dann noch einmal explizit, ob ich gegebenenfalls einen Fehler im Rekrutierungsprozess gemacht habe und der Kandidaten vielleicht verärgert ist.“ Ist das nicht der Fall und es kommt weiterhin keine Antwort, dann hilft nur leises Fluchen und die Suche nach einer Alternative. Für den Kandidaten hätte das Ghosting konkrete Konsequenzen, wie Consultant Oscar Koning deutlich macht: „Ich würde Kollegen von dem Kontakt mit dem Kandidaten abraten und auf inaktiv setzen.“


Tatsächlich kommt es sogar vor, dass Kandidaten einen Job annehmen und dann am ersten Arbeitstag nicht wie verabredet auftauchen oder für einen kurzen Zeitraum kommen und dann wie vom Erdboden verschluckt sind und nicht mehr zur Arbeit kommen. Arbeitspsychologen erklären dies mit mangelnder Sozial- und Entscheidungskompetenz, die dazu führt, dass entsprechende Mitarbeiter 
keine Verbindlichkeiten eingehen wollen.


Bei Auszubildenden lässt sich dies beispielsweise beobachten. Sie bewerben sich bei verschiedenen Ausbildern, unterschreiben vielleicht sicherheitshalber schon einmal einen Vertrag, hoffen aber insgeheim einen Job, bei ihrem Traumarbeitgeber zu bekommen. Bietet sich dann tatsächlich diese Chance, kann es passieren, dass sie das erste Unternehmen, das ihnen einen Platz angeboten hat, einfach ghosten und zum Ausbildungsbeginn nicht auftauchen.

Rechtliche Konsequenzen für Bewerber und Unternehmen

Taucht ein Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch auf, hat das erst einmal keine rechtlichen Konsequenzen, denn bislang gibt es keinen Vertrag. Etwas anders liegt der Fall bereits, wenn ein Arbeitnehmer ein Angebot annimmt und sich dann nie wieder meldet. Hat der Kandidat oder die Kandidatin beim Unternehmen den Eindruck erweckt, dass ein Vertragsabschluss unmittelbar bevorsteht, bricht dann aber die Verhandlungen ohne triftigen Grund ab, kann ein Schadensersatzanspruch bestehen. Das nachzuweisen ist aber schwierig, denn letztlich reicht es aus, wenn der Kandidat in dem Fall eine Erklärung abgibt, warum der Job für sie oder ihn nicht in Frage kommt.

Hat aber ein Arbeitnehmer bereits einen Vertrag unterschrieben und kommt dann nicht zur Arbeit – sei es zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses oder nachdem ein Mitarbeiter für Monate oder gar Jahre für ein Unternehmen gearbeitet hat – dann stehen dem Unternehmen arbeitsrechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, denn grundsätzlich hat der Arbeitsnehmer eine gesetzliche Pflicht, der Arbeit nachzukommen. Praktisch lässt sich das aber nicht durchsetzen, man kann einen Arbeitnehmer schließlich nicht mit physischer Gewalt dazu zwingen, jeden Tag ins Büro zu kommen. Stattdessen kann ein Arbeitgeber den Mitarbeiter abmahnen und unter Einhaltung der rechtlichen Fristen natürlich auch die Kündigung aussprechen. Das sollten Unternehmer auch auf jeden Fall tun, sonst kann ein Arbeitnehmer auch nach Monaten des Ghostings noch auf eine Einstellung bestehen – schließlich wurde ihm oder ihr nicht gekündigt.

Wenn ein Arbeitnehmer schlichtweg nie zur Arbeit kommt oder die vertragliche vereinbarte Stelle nicht antritt, besteht für Unternehmen sogar die Möglichkeit auf Schadensersatz zu klagen. Das kann zum Beispiel die Kosten für Überstunden decken, die andere Mitarbeiter machen müssen, um den Ausfall zu decken. Diesen Rechtsanspruch durchzusetzen, ist aber ebenfalls sehr schwierig, wenn nicht vorab beispielweise eine Vertragsstrafe bei Nichtantritt der Stelle festgelegt wurde. Die deutsche Rechtsprechung hat genaue Höhen für eine derartige Vertragsstrafe festgelegt. In der Regel ist das begrenzt auf das Bruttogehalt bis zum Ende der 
Kündigungsfrist in der Probezeit.

Fairness bei der Mitarbeiterrekrutierung: Wenn Unternehmen ghosten

Wer als Bewerber auf eine Rückmeldung von einem Unternehmen wartet, sollte sich zunächst immer in Geduld üben und nicht direkt nach dem Gespräch nachfragen. Auch Personalabteilungen brauchen Zeit nachzudenken. Oft geben Mitarbeiter der Personalabteilung den Kandidaten eine Frist, wann sie mit einer Rückmeldung rechnen können. Ist diese Frist verstrichen, dann ist es durchaus angemessen per E-Mail oder persönlich in der Personalabteilung nachzufragen.

Senior Consultant Ziya Sahin würde in so einem Fall versuchen, auch andere Möglichkeiten im Unternehmen auszuschöpfen. „Ich würde beispielsweise versuchen über die Zentrale oder andere Kollegen einige Infos zum Ansprechpartner zu erhalten und warum er nicht meldet.“ Hilft alles nichts, würde Consultant Oscar Koning eine finale Mail senden, „um deutlich zu machen, dass es so nicht geht und auf so einer Basis keine Zusammenarbeit wachsen kann.“ Dann bleibt nur noch eine Absage an den Kandidaten. Wenn das Unternehmen so ein Verhalten an den Tag legt und dem Kandidaten nicht die nötige Wertschätzung entgegenbringt, dann hat man als Berater auch die Verantwortung dem Kandidaten gegenüber. „Danach das Thema abhaken und nach vorne schauen! Keine unnötige Energie verschwenden“, sagt er.


Zieht sich diese Nichterreichbarkeit länger hin und ist der Personaler auch auf wiederholte Nachfragen nicht zu erreichen, sollten sich Bewerber ohnehin die Frage stellen, ob sie tatsächlich in einem Unternehmen arbeiten wollen, das potentiellen Mitarbeitern derart wenig Respekt entgegenbringt. Rechtlich haben Kandidaten kaum eine Handhabe gegen derartiges Verhalten, wenn bislang kein Vertrag zustande gekommen ist. Setzt das Unternehmen aber nach dem Vorstellungsgespräch die Vertragsverhandlungen fort und erweckt tatsächlich den Eindruck erweckt, dass ein Vertragsabschluss unmittelbar bevorsteht, kann der Kandidat rein theoretisch versuchen, einen Schadensersatz geltend zu machen, wenn das Unternehmen plötzlich ghostet und nicht mehr erreichbar ist. Man denke zum Beispiel an das folgende Beispiel: Der Kandidat oder die Kandidatin hat einen anderen Arbeitsvertrag ausgeschlagen und steht nun plötzlich ohne Job da. Diesen Schadenersatzanspruch durchzusetzen dürfte aber sehr schwierig sein, da sich – vor allem mündlich – getroffene Absprachen rechtlich oft nicht nachweisen lassen.


Konsequenzen kann das Ghosting von Kandidaten trotzdem haben: Unternehmen, die Ghosting zum regulären Teil ihrer Bewerbungsverfahren machen, verhalten sich potentiellen Arbeitnehmern gegenüber nicht nur unfair, sie schaden auf lange Frist auch dem eigenen Ruf. Derartiges Verhalten spricht sich in der Branche herum und kann Kandidaten von vorneherein abschrecken, wenn sie von einem Bekannten oder Kollegen derartige Horrorgeschichten über das Bewerbungsverfahren gehört haben. Angesichts des harten Wettbewerbs um die besten Köpfe sollten Unternehmen ein derartig schlechtes Image unbedingt vermeiden.

* Wir legen Wert auf Gleichberechtigung und ein Miteinander auf Augenhöhe. Deshalb beziehen wir unsere Personenbezeichnungen, egal in welcher Schreibweise auf alle Geschlechter.