Selbstüberschätzung im Berufsleben

Wenn Manager und Mitarbeiter sich und ihre Leistung ständig selbst überschätzen, dann ist das für Unternehmen ein Problem: Meist bringen Menschen, die zur Selbstüberschätzung neigen, nicht die versprochene Leistungsfähigkeit, können aber für schlechte Stimmung im Team sorgen. Man stelle sich nur einmal die folgende Situation vor: In jeder einzelnen Teambesprechung stellt ein Mitarbeiter (m/w/d) die eigene angeblich so besondere Leistung heraus und alle andere verdrehen nur die Augen, weil sie genau wissen, dass das Projekt nur deshalb fertig geworden ist, weil alle anderen die Arbeit des Kollegen mitgemacht haben. Kaum ein Kollege ist anstrengender als derjenige, der Inkompetenz mit Selbstüberschätzung verbindet. Personaler sollten deshalb bereits bei der Einstellung von Mitarbeitern auf entsprechende Warnsignale achten.

Das mit der Selbstüberschätzung beginnt oft bereits in der Schule: Der eine oder andere mag sich vielleicht noch an den Mitschüler oder die Mitschülerin erinnern, die bei jeder Frage begeistert die Hand in die Höhe streckte – ganz egal, ob die Antwort nun richtig war oder nicht. Umso ärgerlicher für die Mitschüler, wenn der Lehrer das dann mit einer guten Note belohnt – immerhin hat sich der Schüler oder die Schülerin immer am Unterricht beteiligt. Derartige Selbstüberschätzung kommt bei anderen nicht gut an, nicht umsonst gibt es dafür viele negativ besetzte Begriff: Besserwisser zum Beispiel, oder jüngst Mansplaining – ein Begriff für Männer, die glauben insbesondere Frauen alles erklären zu müssen, selbst wenn die Gesprächspartnerin Expertin auf dem besagten Gebiet ist.

Im Internet ist diese Selbstüberschätzung überall präsent: Da gibt es hunderte vermeintliche Fußballtrainer und Minister, die das alles besser könnten, wenn man sie nur lassen würde, daneben tausende von Epidemiologen, Historikern und Wirtschaftsexperten. Oft steckt aber nicht viel dahinter. Das ist natürlich kein neues Phänomen und keinesfalls auf das Internet oder das Berufsleben beschränkt. Bereits 1933 schrieb der englische Philosoph Bertrand Russel in „The Triumph of Stupidity“: „Der Hauptgrund für die Schwierigkeiten liegt darin, dass in der modernen Welt die Dummen vollkommen sicher sind, während die Intelligenten voller Zweifel sind.“

Selbstüberschätzung ist kein Zeichen guter Leistung – sondern oft das Gegenteil

Die Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger haben in Studien festgestellt, dass insbesondere inkompetente Menschen dazu neigen, ihr eigenes Können zu überschätzen. Unwissenheit, so ihre Erkenntnis, führe zu mehr Selbstvertrauen als Wissen – ganz egal ob es dabei ums Autofahren oder Schachspielen geht. Man spricht hier vom Dunning-Kruger-Effekt. Dieser beschreibt die kognitive Unfähigkeit, sich selbst richtig zu beurteilen. Quelle Laut Dunning und Kruger gehe eine schwache Leistung bei solchen Menschen häufig sogar mit größerer Selbstüberschätzung einher, als stärkere Leistungen. In einer weiteren Studie zeigte Dunning: Je höher eine Person ihre eigene Kompetenz einschätzt, desto schlimmer wirkt der Dunning-Kruger-Effekt. Darüber hinaus können Menschen mit akuter Selbstüberschätzung die überlegenen Fähigkeiten anderer nicht erkennen und anerkennen.

Doch was können Menschen tun, die zu völliger Selbstüberschätzung neigen, um dagegen anzusteuern? Am Anfang steht natürlich erst einmal die Erkenntnis, dass man seine eigene Leistung falsch einschätzt. Chefs und Vorgesetzte können dazu einen Anstoß geben, indem sie Mitarbeiter auf die Fehleinschätzung hinweisen. Fortbildungen können auch helfen. Dunning und Kruger haben nämlich festgestellt, dass Menschen durch Lernen und Üben nicht nur ihre Kenntnisse und Fähigkeiten verbessern, sondern auch lernen, sich selbst besser einzuschätzen.

Folgende Tipps können bei der Selbsteinschätzung helfen:

Es ist nicht einfach „Ich weiß das nicht“ oder „Ich kann das nicht“ zu sagen, weil es sich oft wie das Eingeständnis von Schwäche anfühlt. Doch sollte man tatsächlich ehrlich zugeben, wenn man etwas nicht kann oder noch nie gemacht hat. Andere werden das ohnehin merken, wenn die zu erledigende Aufgabe unvollständig, fehlerhaft oder zu langsam erledigt wird. Alleswisser, die dann aber einen schlechten Job machen, machen sich bei Kollegen – und dem Chef – auf lange Frist unbeliebt. Dem Philosophen Sokrates wird die Aussage zugeschrieben „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ und das kann ein hilfreiches Leitprinzip sein, wenn man dazu neigt, das eigene Wissen zu überschätzen: Egal, wie viel wir lernen, es gibt immer Dinge, die wir nicht wissen und nicht können. Und es ist keine Schwäche, sondern mentale Stärke, dies einzugestehen.

Selbstüberschätzung beginnt aber nicht im Großen. Oft fängt es mit einfachen Dingen an, wie dem Gefühl immer mehr zu leisten als andere Kollegen.
Die Kollegin kommt schließlich immer später ins Büro und der Kollege nebenan macht ja ständig eine Kaffeepause. Diese falsche Selbsteinschätzung liegt auch daran, dass unsere Erinnerungen fehlerhaft sind. Wir denken, wir haben mehr gemacht als der Kollege oder die Kollegin, weil wir uns an unsere eigene Leistung schlichtweg besser erinnern, als an die Leistung anderer. Oft sehen wir im Berufsalltag nicht einmal, was die Kollegen während der Arbeitszeit machen. Die Pausen aber bleiben gut in Erinnerung. Dem sollte man sich immer bewusst sein, bevor man sich über die fehlende Arbeitsleistung der Kollegen beschwert – und seine eigene als viel besser herausstellt. Es kann nämlich sein, dass dies schlichtweg an unserer verzerrten Wahrnehmung und Erinnerung liegt.

In großen Teams kann man die Leistung von Kollegen schlecht einschätzen

Untersuchungen haben gezeigt, dass es gerade in großen Teams schwierig ist, die eigene Leistung richtig einzuschätzen. Mit steigender Mitgliederzahl im Team, überschätzen die Mitglieder zunehmend den eigenen Anteil am Teamerfolg. Quelle Das trifft vor allem dann zu, wenn die einzelnen Teammitglieder sehr unterschiedliche Aufgaben haben. Oft wird der Erfolg für unterschiedliche Aufgaben sehr unterschiedlich gemessen. Für die eine Aufgabe ist vielleicht Zeit der wichtigste Faktor, für eine andere eine besonders kreative Problemlösung – selbst, wenn diese etwas länger dauert. Beides lässt sich also schwer miteinander vergleichen.

Führungskräfte sind in der Verantwortung: Selbstüberschätzung keinen Raum geben

Um das Problem einmal von der anderen Seite zu betrachten: Was können Führungskräfte tun, damit der Dunning-Kruger-Effekt dem Unternehmen nicht schadet? Neigen Führungskräfte selbst zur Selbstüberschätzung, gilt natürlich alles, was oben bereits diskutiert wurde. Darüber hinaus sollten sie aber auch bei den Mitarbeitern darauf achten. Es kann beispielsweise hilfreich sein, Mitarbeiter mit einem unterschiedlichen beruflichen Hintergrund zusammenzubringen, die sich trauen, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Diese können als internes Warnsystem funktionieren und zum Beispiel darauf hinweisen, wenn die völlige Selbstüberschätzung eines oder mehrerer Kollegen die Abläufe stört. Eine offene Kommunikation ist da natürlich besonders wichtig.

Fazit: Fehleinschätzungen sind normal

Grundsätzlich schätzen sich Menschen meist mehr oder weniger falsch ein, sagen Psychologen. Problematisch wird das erst, wenn es exzessive Maße annimmt. Das gilt genauso für Menschen, die sich unterschätzen. Die können dadurch unbewusst die eigene Karriere sabotieren, wenn sie ständig unsicher sind und auf die eigene Mangelhaftigkeit und die eigenen Fehler verweisen. Man spricht hier auch vom Imposter-Syndrom, dem Gefühl ein Hochstapler zu sein, der auf dem beruflichen Posten eigentlich nichts verloren hat. Das „Ich bin nicht gut genug“ steht hier im genauen Gegensatz zu Personen, die zur Selbstüberschätzung neigen und glauben, ihnen stünde eigentlich eine noch viel höhere oder verantwortungsvollere Position zu. Quelle

Wie bei vielen Dingen gilt es also auch bei der Selbsteinschätzung, den gesunden Mittelweg zu finden: Man sollte nicht ständig die eigenen Leistungen herausstellen und überbewerten, aber auch nicht das eigene Können unterschätzen. Es ist immer besser Leistung zu vollbringen, als nur über sie zu reden.

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