Dating Plattformen

Professionelle Netzwerke sind keine Dating-Plattformen

Es ist Montagmorgen. Anna liegt noch im Bett und checkt ihre Social Media Seiten. Neue Freundschaftsanfrage bei Facebook, neuer Follower auf Twitter und auf Instagram. Selber Typ, nie getroffen, keine gemeinsamen Freunde oder Follower. Anna ignoriert das. Als sie später am Schreibtisch ihre E-Mails abruft, bekommt sie eine Nachricht von LinkedIn: Jemand möchte sich mit ihr professionell vernetzen. Wieder der gleiche Typ. Sie haben nicht einmal beruflich etwas gemeinsam. Stattdessen folgt eine private Nachricht auf Englisch: „Hi, you look nice…“ Anna ignoriert auch das.

Wer 2021 Single ist, der hat mit ziemlicher Sicherheit bereits einmal eine der zahlreichen Online-Dating-Plattformen ausprobiert. Partnersuche über das Internet ist inzwischen alltäglich. Problematisch wird das allerdings, wenn dafür nicht nur die entsprechenden Dating-Seiten genutzt werden, sondern sogar professionelle Netzwerke wie LinkedIn oder Xing. Gerade Frauen machen immer wieder die Erfahrung, dass Männer Business-Netzwerke als inoffizielle Dating-App nutzen. Die Debatte kochte in diesem Jahr wiederholt hoch, da sich Frauen öffentlich über diese ungewollte und unangemessene Form der Aufmerksamkeit beschwerten. Das passiert nicht nur in privaten Chats, sondern auch wenn Frauen einen Beitrag posten und dabei ein Foto von sich mit veröffentlichen – eigentlich nur um dem Inhalt ein Gesicht zu geben. Statt Kommentare zum Text folgen Aussagen über die hübsche Autorin.

Belästigung auf Karrierenetzwerken: Von vermeintlich unschuldigen Komplimenten hin zu Morddrohungen

Ein Kommentar über die schönen Augen oder das nette Lächeln erscheint vielleicht auf den ersten Blick recht harmlos, ist für die meisten Frauen aber sehr unangenehm – ähnlich wie das im Büro der Fall ist, wenn ein Kollege sich derartige Kommentare nicht verkneifen kann. Statt ihren professionellen Status anzuerkennen, werden Frauen so lediglich auf ihre äußeren Merkmale reduziert. Man wird als Karriereperson gar nicht wirklich wahrgenommen. Zudem werden Frauen in die Defensive gedrängt: Sie wollen nicht unhöflich erscheinen oder haben – oft zu Recht – Angst, dass der Gegenüber aggressiv wird, weist man derartige Annäherungsversuche mit bestimmten Ton zurück. Die Reaktionen, die Frauen erleben, reichen von Beschimpfungen bis hin zu Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. Quelle 1, Quelle 2

Tatsächlich erlebt nahezu jede Frau irgendwann in ihrem Leben sexuelle Belästigung. Laut einer Studie der Hochschule Merseburg betrifft das 97% der Frauen, aber nur 55% der Männer. Quelle

Immer wieder berichten Frauen darüber, dass Männer sie nicht nur ungefragt über Karrierenetzwerke kontaktierten, sondern ihnen sogar sexuelle Textnachrichten oder Nacktbilder schicken. Gerade weibliche Freiberuflerinnen sind hier besonders gefährdet, denn nicht immer sind die Flirtanfragen direkt so offensichtlich und es kommt vor, dass sich das vermeintliche Networking-Treffen als einseitiges und ungewolltes Date herausstellt. Das kann ein echtes Sicherheitsrisiko darstellen. Einige Experten machen in der Gender-Ungleichheit die Ursache dieses Belästigungsproblems aus. Sind Männer bei Tinder 9:1 in der Überzahl, ist das Verhältnis auf LinkedIn nahezu ausgeglichen und so rechnen sich einige Männer hier größere Chancen aus.

LinkedIn und Xing bieten Werkzeuge ungewollte Datinganfragen zu melden

LinkedIn selbst hat inzwischen erklärt, man bemühe sich um eine sichere, professionelle und respektvolle Gemeinschaft. „Bei LinkedIn werden unangemessene Aktivitäten wie Spam, Belästigung, Betrug und das Angeben von Falschinformationen nicht geduldet“, heißt es auf der Webseite.

LinkedIn verweist dabei auf die eigenen Community Richtlinien. Darin steht unter anderem: „Wir dulden keine unerbetenen Zuneigungsbekundungen, Äußerungen zu Attraktivität und sexueller Anziehung, romantischen Anfragen, Heiratsanträge, sexuellen Anspielungen und obszönen Bemerkungen. LinkedIn ist nicht der Ort für die Anbahnung von Liebesbeziehungen oder die Vereinbarung von Rendezvous oder um sich sexistisch über das Erscheinungsbild anderer Personen zu äußern.“ Die Webseite stellt dabei verschiedene Werkzeuge zur Verfügung, um derartiges Fehlverhalten zu melden: So kann man einzelne Unterhaltungen oder Beiträge melden und Nutzer blocken. Doch das setzt voraus, dass das Opfer von Online-Harassment selbst aktiv wird. Und es bleibt die Frage, wie effektiv diese Tools eigentlich sind. Auch Xing hat das Thema in den eigenen Richtlinien verankert. Unter verbotenem Verhalten findet sich da: Spammen, Beleidigen, Verleumden, Respektlose Ansprache Dritter, Persönliche Daten Dritter veröffentlichen, Flirten oder sexuell geprägt kommunizieren. Bei der Online-Belästigung verstoßen Männer also oft gleich gegen mehrere Richtlinien – vom verbotenen Flirten bis hin zu respektloser Ansprache und Beleidigungen, die laut den Berichten von Frauen oft auf eine Ablehnung der Anfrage folgen. Auch Xing erlaubt es Mitgliedern, derartige Nachrichten zu melden. Auf der Webseite heißt es: „Solltest Du Dich von einer Nachricht oder Kontaktanfrage eines anderen Mitglieds belästigt fühlen, welche Dir in Deinem XING-Postfach vorliegt, kannst Du uns diese direkt als Spam melden (…) Deine Meldung wird dann an unseren Kundenservice weitergeleitet.“

Aber nicht nur die Flirtanfrage über die professionelle Netzwerke selbst sind problematisch. Wer gerade anfängt zu daten, der ist natürlich neugierig und das Internet bietet viele Möglichkeiten, den potenziellen Partner schon einmal auszuloten – sei es über Facebook oder eben auch über professionelle Netzwerke. Das kann in regelrechtes Stalking ausarten, wenn der Gegenüber bereits beim ersten Date glaubt, einen perfekt zu kennen, weil er oder sie alles gelesen hat, was sich online so finden lässt. Nun stelle man sich zudem einmal die folgende Situation vor: Man lernt jemanden auf Tinder oder Bumble kennen, man chatted, trifft sich ein paar Mal und stellt dann fest, dass man irgendwie nicht so richtig zusammenpasst. Dann aber stellt sich heraus, dass diese Erkenntnis sehr einseitig ist und das Date einfach nicht aufhört Nachrichten zu schicken. Man blockt auf der Dating-Plattform und auch die Telefonnummer. Plötzlich aber kommt die Nachrichtenanfrage über LinkedIn. Die Autorin eines Artikels auf Vice.com hat eine ähnliche Erfahrung mit ihrem Ex gemacht. 16 Monate Funkstille und dann kommt die Anfrage über LinkedIn: „Irgendwie muss ich ja deine Aufmerksamkeit gewinnen!“ Quelle

Wer andere online belästigt, der riskiert die eigene Karriere

Nicht immer dringen Flirtanfragen in die Öffentlichkeit und passieren in den mehr oder minder geschützten privaten Chats und so fühlen sich die (meistens) Männer sicher und glauben, dass sie berufliche und private Grenzen ungestraft überschreiten können. Dabei gehen sie ein Risiko ein, wie der Fall einer amerikanischen Journalistin gezeigt hat. Die bekam nämlich von einem Reporter zunächst eine berufliche Anfrage, die nach und nach zunächst in Flirtanfragen abglitt und dann in eindeutig sexuelle Inhalte. Schließlich aber machte sie den Chat über Twitter öffentlich und kontaktierte auch den Vorgesetzten des Reporters. Später wurde der Reporter suspendiert – immerhin hatte die LinkedIn-Anfrage zunächst mit einem Jobangebot begonnen. Der Arbeitgeber war also direkt von den unerwiderten Flirtversuchen betroffen und ein Unternehmen kann durch derartiges Verhalten einen entsprechenden Imageschaden davontragen. Quelle

Einige Frauen versuchen direkt über den Hashtag #ThisIsNotADatingPlatform ihre Position deutlich zu machen oder schlagen beim Netzwerken gleich eine ganz andere Richtung ein. Inzwischen gibt es einige Netzwerke nur für Frauen, die sich um eine stärkere Sichtbarkeit von Frauen in unterschiedlichen Branchen bemühen und sich bei der Netzwerkbildung gegenseitig helfen. Netzwerken ist schließlich der Hauptgrund, warum viele Frauen und Männer professionelle Karrierewebseiten wie LinkedIn und Xing nutzen.

* Wir legen Wert auf Gleichberechtigung und ein Miteinander auf Augenhöhe. Deshalb beziehen wir unsere Personenbezeichnungen, egal in welcher Schreibweise auf alle Geschlechter.